netzwerkB 6. Dezember 2011

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netzwerkB unterstützte den Antrag “Verjährungsfristen aufheben” der SPD-Frauen Hessen Süd.

Die Vorstandsvorsitzende der SPD-Frauen Hessen Süd, Ulli Nissen, hat am 6. Dezember 2011, auf dem Ordentlichen Bundesparteitag der SPD, den Antrag zur Aufhebung der Verjährungsfristen sexualisierter Gewalt eingebracht.

Der Vorstandsvorsitzende von netzwerkB, Norbert Denef, hat mit einem Beitrag als Gastredner den Antrag unterstützt.

Der Antrag wurde einstimmig ohne Gegenstimme angenommen!

Rede von Norbert Denef auf dem Ordentlichen Parteitag der SPD, am 6. Dezember 2011 in Berlin:

Torsten Schäfer-Gümbel:
Dann komme ich jetzt zum nächsten kurzen Block. Da liegen jetzt zwei Wortmeldungen vor, das ist der I 38, 39 und 40. Da geht’s um das Thema sexueller Missbrauch. Zunächst Norbert Denef, Vorsitzender des Netzwerk’s Betroffener von sexueller, von sexualisierter Gewalt und danach Ulli und Ulli Nissen verzichtet, dann ist nur der Norbert dran, bitte schön.

Norbert Denef:

Ich bedanke mich herzlich, hier sprechen zu können. Ich wurde beauftragt als Vorstandsvorsitzender von netzwerkB, das ist das Netzwerk Betroffener von sexualisierter Gewalt, dem Antrag zuzustimmen, die Verjährungsfristen für sexualisierte Gewalt aufzuheben.

Wir fordern die Aufhebung der Verjährungsfristen!

Ich möchte Ihnen an einem Beispiel zeigen, wie wichtig es ist, die Verjährungsfristen und damit das Schweigen zu brechen.

Dieser kleine Junge wurde mit 10 Jahren von einem Priester bis zum 16. Jahre missbraucht. Danach weitere zwei Jahre bis zum 18. Lebensjahr von einem Kirchenangestellten. Er hat 35 Jahre lang geschwiegen aus Scham, Angst und Schuldgefühlen. Als er sein Schweigen brach, im Familienkreis, wurde er von der Herkunftsfamilie ausgegrenzt. Er hat weitere Jahre gebraucht, um den ersten Täter anzuzeigen, das war 96.

Seine Kinder halfen ihm dabei, das Sprechen zu lernen. Er konnte nämlich nicht diesen Satz aussprechen, auch in dem Familienkreis: Ich wurde sexuell missbraucht. Das ging nicht.

Er brauchte noch mal weitere Jahre, bis zum Jahre 2003, um den zweiten Täter zu nennen. Das ging auch nicht über seine Lippen aus Scham, Angst und Schuldgefühlen. Dann hat er die beiden Täter angezeigt im Bistum Limburg. Kurz danach versuchte man ihn mit 25.000 Euro zum Schweigen zu zwingen. Dann hat er um Hilfe gebeten, den Papst, bitte hilf mir, das Bistum Magdeburg will mich zum Schweigen zwingen.

Ein halbes Jahr später bekam er vom Papst einen Brief, wo darin stand, dass er darum betet, dass er wieder vergeben kann.

Später versuchte er noch die Taten bei der Polizei anzuzeigen, weil er Tateingeständnisse von den Tätern hat. Es ist also keine Frage mehr ob die Tat stattgefunden hat oder nicht. Dann musst er sich anhören, hm, geht nicht, da ja alles verjährt ist.

Verjährt? Alles verjährt? Und ich soll wieder schweigen? Der Gesetzgeber sagt, ich soll Ruhe geben und wieder schweigen?

Da hat der kleine Junge dann gesagt, das geht nicht, ich werde mich jetzt einsetzen dafür, dass die Verjährungsfristen aufgehoben werden, für die vielen Tausend, vielen zichfach tausenden Betroffenen die darunter leiden, dass es Verjährungsfristen gibt, dass man sie einzwängt zu sagen, wenn die Verjährungsfrist stattgefunden hat, musst Du Ruhe geben, weil das Rechtssystem das nicht her gibt, weil der Rechtsfrieden, weil aus unserer Sicht damit die Täter geschützt werden und nicht die Opfer. Und deshalb setzen wir uns dafür ein, dass die Verjährungsfristen aufgehoben werden.

Es besteht eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof zur Aufhebung der Verjährungsfristen, weil der Deutsche Staat die Petition, die vor fünf Jahren eingereicht wurde, abgelehnt hat. Das ist aus unserer Sicht eine Verletzung der Menschenrechte. Hier geht es auch nicht um Missbrauch, sondern hier geht es um Gewalt, hier geht es um Gewalt gegen Kinder.

Wie wollen wir in 20, 30 Jahren den Kindern erklären, wir hätten damals die Chance gehabt die Verjährungsfristen aufzuheben, wir haben es nicht getan, ihr müsst weiter schweigen.

Deshalb fordere ich Sie auf und bitte Sie herzlich darum uns zu helfen, uns zu unterstützen, dass die Verjährungsfristen aufgehoben werden – jetzt und nicht erst irgendwann später. Und dies, es geht nicht, das müssen wir aufheben, das müssen wir möglich machen, das es geht, die Verjährungsfristen aufzuheben!

Ich möchte noch einen Satz zum Schluss sagen. Als dieser kleine Junge vor vielen Jahrzehnten daran gedacht hat, auf die Idee gekommen ist, die Verjährungsfristen aufzuheben, hätte er sich nie vorstellen können, dass er heute, hier, das vor so vielen Menschen sagen kann und so viel Unterstützung bekommt. Herzlichen Dank.

Torsten Schäfer-Gümbel:
Herr Denef, ganz herzlichen Dank dafür, dass sie uns noch mal in dieser Form auch auf ein sehr wichtiges Thema hingewiesen haben und auch in der Form wie sie es getan haben, das ist kein einfacher Gang. Wir wissen selber, dass auch in diesem Raum viele sind mit ähnlichen Erfahrungen die sich wie sie noch nicht die Kraft gefunden haben sich selber damit auseinander zu setzen in der Form wie sie es eben beschrieben haben.

Es ist bisher so, dass der einschlägige Antrag überwiesen werde oder bzw. für erledigt erklärt werden soll. Es gibt einen neuen Vorschlag durch die Antragskommission. Ralf, Du hast das Wort.

Ralf Stegner:
Liebe Genossinnen und Genossen, ich glaube nach dem was wir da gerade eben gehört haben, kann man nicht einfach sagen, das ist erledigt durch irgendwelche Drucksachen, sondern, das war ein Appell an die Sozialdemokratie sich der Sache anzunehmen, sich der Sache noch mal anzunehmen und das werden wir tun. Und deswegen schlagen wir vor, diesen Antrag noch mal an die Bundestagsfraktion zurück zu überweisen, damit entsprechende Initiativen unternommen werden können, damit das im Endeffekt auch erfolgreich ist, liebe Genossinnen und Genossen.

Und ich bedanke mich bei ihnen nicht nur dafür, das sie das angesprochen haben, sondern, dass sie auch den Mut hatten das hier so auszusprechen. Das ist vor so vielen Menschen bei so einem Parteitag nicht einfach und ich finde, wir haben uns der Sache jetzt anzunehmen und das werden wir tun.

Torsten Schäfer-Gümbel:
Liebe Genossinnen und Genossen, das bedeutet, das die Voten für die Anträge I 38 bis I 40 verändert werden in Überweisung an die Bundestagsfraktion mit der eindringlichen Bitte sich dieser Frage noch einmal sehr intensiv anzunehmen und ich frage wer jetzt dem geänderten Votum der Antragskommission zustimmen möchte.

Gegenstimmen?

Enthaltungen?

Dann ist das einstimmig!

Ich bedanke mich ganz herzlich.

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